Vor Kurzem bin ich das erste Mal seit Pandemiebeginn und damit auch seit Beginn meiner Diabetes-Erkrankung mit der S-Bahn ins Büro gefahren. Was jahrelang eine Selbstverständlichkeit war, rückte gut drei Jahre lang durch konsequentes Homeoffice oder die Fahrt mit dem Auto in den Hintergrund.
Früher stieg ich täglich morgens am Hauptbahnhof aus und abends wieder ein. Fast täglich stiegen mir urin- oder schweißhaltige Duftwolken in die Nase. Hin und wieder sah man Menschen auf der Treppe oder in einer Ecke sitzen, die offensichtlich ihrer Süchte frönten. Ich kann nicht sagen, dass ich das unausstehlich oder angsteinflößend fand. Es gehörte traurigerweise zum Eindruck des Bahnhofsviertels dazu.
Als ich mich dieses Mal auf den Weg zum Bahnhof machte, holte ich mir noch schnell etwas zum Essen für auf die Hand. Schnell wurde mir klar, dass das Pizza-Stück nicht ungespritzt davonkommen konnte. Fragen schossen durch meinen Kopf: Sieht es nicht komisch aus, wenn ich mich jetzt auf eine Bank am Hauptbahnhof setze und die Spritze heraushole? Sollte ich es vielleicht besser in der S-Bahn machen oder sieht es da nicht noch komischer aus? Sollte ich vielleicht gar nicht … NEIN! Ich setzte mich auf die nächste Bank, schob das T-Shirt nach oben und spritzte wie selbstverständlich Insulin. Und so sollte es meiner Meinung nach auch sein.
Vorher hatte ich nie das Gefühl, mich mit dem Diabetes verstecken zu müssen. Bei jedem (der wenigen) Restaurantbesuche spritzte ich direkt am Tisch und dachte gar nicht daran, dafür auf Toilette oder Ähnliches zu gehen. Zwar wurde es an dem ein oder anderen Grillabend mit Menschen, die mich weniger gut kannten, manchmal bedächtig still, wenn ich spritzte, aber auch das machte mir nichts aus.
Meistens merkte es ohnehin keiner – zumindest, wenn man jetzt nicht gerade in die obere Bauchhälfte spritzte. Mein Spritzschema sieht aber ohnehin an den Wochenenden die untere Bauchregion vor (Spritzstellen – warum ich gerne sechs Finger hätte). Anscheinend kann man laut der Bergischen Apotheke auch durch die Kleidung stechen. Wenn dann aber doch eine Ader in Mitleidenschaft gezogen wird und das T-Shirt Blutflecken bekommt, ist das vielleicht auch kein schöner Anblick am Hauptbahnhof.
Schreibt gerne mal in die Kommentare, wie ihr das als Diabetiker handhabt und wie das Nicht-Diabetiker finden.
Photo by Kai Pilger on Unsplash
Hi, habe jetzt 4 Jahre Diabetes Typ 1. Bin heute auf dein Blog gestoßen. Genau dieselben Gedanken habe ich gemacht bzw. mache ich heute noch. Spritzen in der öffentlich ist immer schwer ohne zu begafft zu werden. Welche denken bestimmt man ist Drogen abhängig :).
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