Die aufmerksamen Leser wissen bereits, dass ich im eigentlichen Leben in der IT-Branche unterwegs bin und mich daher immer mal wieder mit dem Thema „Künstliche Intelligenz“ beschäftige. Die einen sagen, dass es das nächste große Ding sei, das den Arbeitsmarkt auf den Kopf stellen und die Arbeitslosigkeit in die Höhe treiben wird. Andere sagen, dass es längst in vielen Branchen genutzt wird und fast schon Alltag sei. Es hängt also davon ab, wie man dieses Schlagwort mit Leben füllt.
Bei der Programmierung von Anwendungen geht es aktuell primär darum, Algorithmen aufzustellen. Man sagt also einer Maschine, was sie machen soll, wenn eine bestimmte Situation auftritt. Künstliche Intelligenz beschreibt den Versuch, Maschinen beizubringen, eigenständig sinnvolle Entscheidungen treffen zu können. Dabei gibt es Unterschiede in der Ausprägung. Im einfachsten Fall werden einer Maschine zum Beispiel Bilder gezeigt, auf denen manchmal Straßenschilder zu erkennen sind. Ihr wird außerdem mitgeteilt, wann das der Fall ist und wann nicht. Über eine sehr große Datenmenge hinweg, kann die Maschine dann Muster erlernen und diese auf ihr noch unbekannte Bilder anwenden. Der Programmierer sagt also nicht mehr, dass Aktion A ausgeführt werden soll, wenn Bild B erscheint. Es heißt dann vielmehr: Aktion A soll ausgeführt werden, wenn ein Bild wie Bild B erscheint. Das Bild selbst kennt der Programmierer dann nicht mehr. Mit diesem Verfahren schaffen es mittlerweile Auto-Assistenzsysteme das Tempolimit zu erfassen, ohne, dass ein armer Tropf jedes Verkehrsschild in Deutschland fotografieren musste.
Ein Beispiel dafür, dass das aber auch nicht immer trivial ist, bietet eine Software aus dem Hause Pixellot. Sie haben ein intelligentes Schwenksystem entwickelt, mit dem man für das Streamen eines Fußballspiels keinen Kameramann mehr benötigt. Aber selbst die vermeintlich einfache Vorgabe, immer den Ball im sichtbaren Bereich zu halten, sorgte bei einem Spiel in Schottland für Lacher. Das System hielt immer wieder die Glatze eines Linienrichters für den Ball und verfolgte ständig, wie er sich am Spielfeldrand auf und ab bewegte. Die Fans konnten so das eigentliche Spiel nicht mehr verfolgen.
Eine Ecke intelligenter wird es, wenn der Programmierer selbst nicht mehr genau beschreiben kann, was eigentliche Einflussfaktoren auf bestimmte Aktionen sind. Er füttert das System nur mit einer unstrukturierten Datenmenge und gibt ein bestimmtes Ziel oder eine Fragestellung vor. Wie die Maschine dieses Ziel erreichen kann, muss sie selbst lernen.
Von einer starken Künstlichen Intelligenz kann man dann sprechen, wenn ohne weiteres menschliches Zutun, Probleme erkannt und gelöst werden können. Hiervon ist man noch weit entfernt, aber für die Stufen davor gibt es vielseitige Anwendungsfelder, unter anderem das Diabetesmanagement.
In dem Blog-Artikel „Einflussfaktoren auf den Blutzuckerverlauf“ habe ich eine Auswahl an Situationen beschrieben, die die Blutzuckerwerte unerwartet nach oben und unten bringen. Vermutlich gibt es noch unzählige weitere Bedingungen und Kombinationen, so dass der Diabetiker selbst kaum den Überblick behalten kann, wann welche Insulinzufuhr am idealsten wäre. Hier kann eine künstliche Intelligenz sicherlich helfen. Füttert man sie mit ausreichend Daten, kann sie Rückschlüsse aus der Vergangenheit ziehen und Muster erkennen, die weniger offensichtlich sind. Das Ziel sollte es sein, den Blutzuckerwert möglichst ohne viel Schwankungen stabil bei einem bestimmten Durchschnittswert z.B. 100 mg/Dl zu halten.
Je mehr andere Daten das System von außen bekommt, desto mehr Spielraum gibt es für unerwartete Korrelationen. Ich liste daher mögliche Datenquellen auf, die bereits jetzt schon helfen könnten, wenn man sie clever miteinander kombiniert:
- Glukosewerte aus dem CGM-System: Mit diesen Daten steht und fällt das ganze Modell. Aktuell können Fremdanwendungen leider nur selten auf den umfangreichen Datenschatz zugreifen. Aus derselben Datenquelle kann i.d.R. auch das zugegebene Insulin und die aufgenommene Kohlenhydratemenge entnommen werden.
- Die Uhrzeit: Je nach Tageszeit hat der Körper einen unterschiedlichen Insulinbedarf. Außerdem lassen sich hier auch Schlafenszeiten ableiten. Die offensichtlichste Datenquelle ist hier die Gerätezeit.
- Der Kalender kann auch eine wichtige Datenquelle sein. Pflegt man seine Termine regelmäßig, können hier auch Ableitungen erfolgen. Zum Beispiel könnte das System abschätzen, wann die nächste Sporteinheit ansteht. Aber auch Events wie Weihnachten oder Silvester könnten ggf. einen anderen Umgang mit Insulin erfordern.
- Um zu verifizieren, ob und wie intensiv Sport gemacht wurde oder ob es nur ein Platzhalter im Kalender war, können Fitness-Apps wie Google fit oder Runtastic Informationen geben.
- Der Standort könnte entlarven, ob man auf der Arbeit ist oder vielleicht gerade Urlaub hat.
- Die Wetter-App: In Kombination mit dem Standort gibt sie Aufschluss darüber, welche Temperaturen gerade vorherrschen und ob das eventuell die Insulinwirkung beeinflusst.
- Apps wie „Water Drink Reminder“ zeigen wie viel Wasser bereits getrunken wurde.
Diese Auflistung zeigt, dass es viel Potenzial für eine intelligente Diabetes-App gäbe. Die klare Zielgröße und die Unmengen an Daten lassen das System schnell lernen. Allerdings birgt ein selbstlernendes System auch Risiken. Ein Fehler wie bei der Glatze des Linienrichters könnte bei der Insulinzugabe schwerwiegende Folgen haben. Aus diesem Grund stelle ich mir eine Zulassung als medizinisches Produkt auch sehr schwierig vor. Auf die Frage „Wie stellen Sie sicher, dass die Anwendung funktioniert?“ könnte man dann nur antworten, dass man darauf vertraut, dass das System richtig gerechnet habe oder es zumindest bald selbst merkt, dass es nicht gut war.
Vermutlich könnte es daher bestenfalls aktuell eine zusätzliche Assistenz sein. Dem Diabetiker müsste klar gemacht werden, warum das System gerade so entschieden hat. Beispielsweise könnte das System im folgenden Stil Empfehlungen aussprechen: „Ich habe erkannt, dass du gestern einen Marathon gelaufen bist, heute kaum etwas getrunken hast und später auf einer Party vermutlich Alkohol trinken willst. Du solltest heute deutlich weniger Insulin spritzen, damit es nicht so endet wie beim letzten Mal.“
Ich für meinen Teil hätte Lust, einem solchen System meine Daten freizugeben und wäre sogar froh darüber, in dieser Beziehung arbeitslos(er) zu werden.
Photo by Franki Chamaki on Unsplash
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