Wie nachhaltig kann ein Mensch mit Diabetes leben?

Wir leben in einer Zeit, in der zurecht viel über Umwelt, Humanität und Nachhaltigkeit gesprochen und diskutiert wird. „Dieses verantwortungslose Verhalten wird ohne Zweifel als einer der größten Fehler der Menschheit in die Geschichte eingehen.“, wirft Greta Thunberg den Erwachsenen in der Klimakrise vor. Der Earth Overshoot Day ist bereits im August. Das bedeutet, dass die Menschheit mittlerweile 1,6 Erden bräuchte, um den Ressourcenverbrauch zu decken. Und selbst Jogi Löw ist im Februar 2020 der Meinung: „Ich achte darauf, dass ich wenig bis kein Plastik verwende.“.

In dieser Zeit überdenkt man sein Mobilitätsverhalten: Muss es zwingend das Auto sein? Muss es weiterhin ein Verbrenner sein? In dieser Zeit überdenkt man die Gerechtigkeit in der Welt: Warum geht es mir so gut? Warum haben andere das Pech in Ländern geboren zu sein, die durch Krieg, Hunger und Krankheiten geprägt sind? In dieser Zeit schaut man sich die übervolle Plastiktonne an und fragt sich, ob das alles notwendig war.

In dieser Zeit bekomme ich Diabetes und mir wird empfohlen, für jede Insulinzufuhr einen neuen Spritzenkopf zu verwenden. Die Spitze stumpft nach einmaliger Nutzung schon so stark ab, dass es zu Verhärtungen an den Einspritzstellen kommen könnte, wenn ich sie weiterhin benutze. Das hat nicht nur ästhetische Auswirkungen, sondern schränkt auch die Spritzstellen-Optionen mit der Zeit ein. Da ich vermutlich noch viele Jahrzehnte mehrmals täglich spritzen muss, möchte ich das Risiko nicht eingehen. An Tagen mit vielleicht einem Stück Kuchen zusätzlich zu Frühstück, Mittagessen und Abendessen kommt man aber so mit dem Basal-Insulin schnell auf fünf plastikenthaltende Spritzenköpfe, die in der Tonne landen.

Meinen CGM-Sensor, der mir kontinuierlich die Zuckerwerte durchgibt, möchte ich nicht mehr missen wollen. Allerdings wird auch dieser alle zwei Wochen neu gesetzt. Damit wird der Sensor als solcher ein Wegwerfprodukt. Auch die Stempelvorrichtung, die den Sensor passgenau an den Arm platziert, kann nur einmal verwendet werden. Und obwohl selbst Manfred Santen von Greenpeace Deutschland Einwegplastik für medizinische Zwecke akzeptiert, frage ich mich doch, ob Abbott nicht wenigstens den Stempel für die Mehrfachnutzung weiterentwickeln könnte.

Alternativ und manchmal zusätzlich zum Sensor, kann man den Zuckerwert auch direkt im Blut messen. Hierzu benötigt man eine Stechhilfe, bei der die Nadel ebenfalls nur einmal verwendet werden sollte. Außerdem braucht es für jede Messung einen neuen Teststreifen. Durch den Sensor spare ich mir dieses Setup aber nahezu komplett und nutze es nur, wenn ich an den Sensorwerten zweifele oder sich dieser gelöst hat.

In Summe ist das schon merklich mehr Plastikmüll, den man als Diabetiker produziert, der aber medizinisch sinnvoll ist und den man eher im Alltag an anderen Artikeln und Einkäufen sparen sollte.

Viel schmerzhafter ist es, Insulin wegzuwerfen. Beim Spritzen von Insulin kommt es auf die genaue Dosis an. Eine Luftblase könnte hier schon einen Unterschied machen. Daher wird bei jeder neuen Spitze empfohlen, 1-2 Einheiten „ins Leere“ zu spritzen, um sicherzugehen, dass genügend Insulin durch den Spritzkopf kommt. Außerdem soll angebrochenes Insulin nicht länger als 4-5 Wochen verwendet werden, da es dann ungekühlt an Wirkkraft verliert. Bei meinem aktuellen Insulinbedarf, ist das schon mal der halbe Pen. Ich nutze es daher doch den ein oder anderen Tag länger, solange ich auch keine Änderung feststellen kann.

Die unverständlichste Situation in Sachen Diabetes-Nachhaltigkeit hatte ich schon in den ersten Wochen. Nachdem meine Werte wieder in normalen Regionen waren, wurde ich regelmäßig in der Nacht durch den Unterzucker-Alarm geweckt. Daraufhin verschrieb mir meine Diabetes-Ärztin ein Langzeitinsulin mit einem anderen Wirkprofil. Die drei unbenutzten Pens des vorherigen Insulins im Kühlschrank solle ich entsorgen. Das wollte ich nicht akzeptieren. 70% des Insulins wird nur von 30% der Weltbevölkerung genutzt und dann auch noch haltbar und unangetastet weggeworfen? Menschen, die nicht das Glück haben durch Krankenversicherungen unterstützt zu werden müssen sterben, weil der Insulinbedarf nicht bezahlt werden kann.

Nach kurzer Recherche fand ich erfreulicherweise eine Organisation, die haltbares Insulin (und auch andere Hilfsmittel) entgegennimmt, um Diabetikern in der ganzen Welt zu helfen: www.insulin-zum-leben.de.

3 Kommentare zu „Wie nachhaltig kann ein Mensch mit Diabetes leben?

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  1. Hallo Christian, ich lese deine Ausführungen sehr gerne. Du weißt, sehr Informatives auch für Nichtdiabetiker zu vermitteln. Dabei werden mir auch deine Umstände besser klar. Diesmal ein besonders nachdenklicher Text, der auch mich anregt, mein Gesundheits-Verhalten bewusster in einem größeren Zusammenhang zu reflektieren. Beeindruckend, wie analytisch du dich mit deinem Thema Diabetis auseinander setzt, anstatt „nur“ Patient zu sein. Gruß Alfred

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  2. Hallo,
    Was der Nachhaltigkeit übrigens auch helfen kann wenn man Pens nutzt: Wiederverwendbare Pens bei denen man nur die Kartusche (aus Glas – allerdings medizinisches, dass soweit ich weiß nicht einfach mit dem Glasmüll entsorgt werden darf) auswechseln und nicht gleich den gesamten Pen wegwerfen muss.
    War mir lange nicht klar, dass es diese Möglichkeit gibt. Für den Notfall hab ich mir noch einen Pack Einmalspritzen (leere) verschreiben lassen, damit ich mich trotzdem spritzen kann falls mit dem Pen mal was sein sollte. Kam aber bisher noch nie vor.
    Grüße,
    Christina

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